PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mein Krebsgang


Dagmar
05.10.2005, 18:45
Mein Krebsgang, angefangen zu gehen an einem Freitag im Juli 05

Rechts und links von mir schlägt sie ein, die Krebsdiagnose, sogar bei Menschen, die mir nahe stehen. Aber doch eben den „Anderen“, reagiere erschreckt „oh, die Armen“ aber mehr muss ich grad nicht leisten. Setzt mich mit dem Thema nicht weiter auseinander. Und nun bei mir selbst: Diagnose Darmkrebs und schon faustgroß. Was für eine Herausforderung – mein Gott, so fühlt sich das an!

Ein Karussell der Emotionen und wirren Gedanken setzt sich in Gang, ich kann nichts tun. Nehme unterschiedliche Reaktionen der Menschen wahr, die ich mit meiner Krebsdiagnose berühre und erlebe, was es in ihnen auslöst. Was löst es in mir aus?

Ich habe Krebs. Fragen tauschen auf wie: was habe ich wohl lang und gekonnt immer wieder ausgeblendet? Ahneungen kommen hoch, mein inneres Kind, ach ja, schon viel drübergearbeitet, doch was wirklich verstanden?

Mein inneres Kind, nicht wirklich gesehen und gehört? Das sich jetzt so aggressiv Gehör verschaffen muss, sogar mit der Gefahr, den eigenen Wirt zu zerstören?

Ja, diese Macht haben Kinder!

Ich haben meinem Kind so oft das Ruder meiner Gedanken, Handlungen und Emotionen überlassen. Wie soll mein Kind dieser Aufgabe gerecht werden, die ganz und gar nich die seinige ist? Und damit völlig überfordert.

Ich glaube, wenn wir tief verstehen lernen, dass dies genau das Spiel ist: wir spielen Scheinerwachsensein, dabei beherrscht uns das Kind! Dann kann es uns gelingen, mit Hilfe intensiver Bewusstseinarbeit das Ruder als Erwachsene zu übernehmen. Das Kind wird es sich zwar nicht so leicht aus der Hand nehmen lassen, da es sich ein jahrzehntelanges Sicherheitssystem aufgebaut hat. Und es fürchtet nichts mehr als die „Bedrohung“, dieses System zu verlassen.

Um meinem Kind jetzt helfen zu können, muss ich Schritt für Schritt lernen, die Erwachsene auf den Plan zu rufen, die die Verantwortung übernimmt, das Kind an den richtigen Platz setzt, wo es sich entspannen kann und Vertrauen in die Erwachsene entwickeln kann.

Ich bin dankbar, dass es Momente gibt, in denen ich mit meinem Kind liebevoll in Kontakt treten kann, mich als Erwachsene wahrnehme. Das macht mir Mut, mein Bewusstsein zu trainieren.

Was liegt da näher, als weiter die wunderbaren Werkzeuge zu nutzen, die Meike in ihrer Arbeit anbietet, die mich langfristig darauf vorbereitet haben, jetzt meine Erkrankung aus einem Bewusstsein heraus wahrzunehmen, das es mir ermöglicht, den größt möglichen Nutzen daraus zu ziehen. Was für eine Chance!

Auch aus der Perspektive, dass mein Krebs noch verkapselt im Dickdarm lag und keine weitere Streuung stattgefunden hat. Man hat mich als „geheilt“ aus dem Krankenhaus entlassen!

Auf diesem Weg sag ich von Herzen all den Menschen Dank, die mich in dieser Zeit mit segensreichen, liebevollen Gedanken und Gebeten bedacht begleitet haben. Von Herzen dank ich meinem Mann Rolf, der mich wie ein „Torwächter“ vor zu frühen Besuchern zu schützen vermochte und für seine Begleitung. Einen tiefen Dank auch an meine Freundin Meike, die mit mir die halbe nacht in der Notaufnahme verbracht hat wegen blödsinniger Blutungen. Auch für ihre vielen vielen geistig-seelischen Hilfestellungen – ich glaube behaupten zu können, dass sie kleine Wunder bewirkt haben.

Da ich im Anschluss meiner OP gleich eine dreiwöchige Reha-Maßnahme in Anspruch nehmen konnte, hatte ich viel Zeit für mich. Die Konfrontation mit mir selbst fand ich anfangs nicht gerade so prickelnd. Aber dann erkannte ich doch die große Chance, die darin verborgen war und nutzte sie. Nach einer gewissen zeit platzte tatsächlich ein Knoten. Ein ewig langes in mir herumgetragenes elementares Thema konnte aufbrechen und gefühlt werden. Ein für mich bis dahin nie gekanntes Gefühl, da mich in Demut sehr still werden lässt, weil es nicht mit Worten zu beschreiben ist – wundervoll!

Ich forsche weiter, denn meine „Innenarbeit“ hört niemals auf und das ist gut so!

Meike Lalowski
17.10.2005, 14:12
Liebe Dagmar, du kennst meine Einschätzung: die „Krankheit“ Krebs ist nichts weiter als ein Bild für das nicht gesehene Kind, das sich, um endlich (!!!) gesehen zu werden, massiv über den Körper ausdrückt (Teekesselchen!).

Welch Bild: da inszenieren wir uns als bösartig (Teekesselchen!!), wir riskieren Tod und Teufel, rufen zur Steigerung einen bitteren Krieg aus mit Chemiekeulen und Strahlenwaffen, alles ohne Garantie auf Sieg (und totaler Unklarheit, welchen Gewinner wir wirklich wollen), nur um gesehen zu werden …

Genauer: um so gesehen zu werden, wie Kinder es sehnsuchtstechnisch bräuchten: bedingungslos geliebt, aber klar erzogen, ernsthaft begleitet, liebevoll getröstet, gelassen entschärft, vertrauensvoll in die eigenen Stärken entlassen uswusw. hehre Worte, die irgendwie schlichtweg zum Kotzen sind, weil: wo gibt es denn das!?: eben: wirklich wahrgenommen werden …!?

Nicht in dieser Welt. Denn Eltern sind in der Regel nichts anderes als bedürftige und unbewusste Scheinerwachsene, die genau ihren Schmerz über ihr Verlassensein unbekümmert aber kummervoll an die Kinder weiterreichen – in einem berühmten dicken Buch liest es sich dann als Erbsünde.

Kinder können nicht anders als versagen, denn genau das ist die Antwort auf die sich versagenden Eltern. Und versagen (klammheimlich oder offen) hat eben nicht nur Scham und Schuld im Gepäck (der Fall aus dem Paradies), sondern auch andere eklige Gefühle: Wut, Trostlosigkeit, Einsamkeit, SehnSucht – beliebiges tralala - Angst eben. Alles nicht auszuhalten. Und so werden wir Experten in Schmerzvermeidung mit gleichzeitiger Schmerz-Sehn-Sucht. Wir werden Experten in Sicherheitssystemen. Wir werden perfekte Scheinerwachsene oder aber eben perfekte Verweigerer (ist übrigens nicht nur dasselbe, sondern auch beliebt in Mischformen). Wir installieren unsere Macht auf Leben und Tod, denn unser Vertrauen auf erwachsene oder gar weise Strukturen ist mehr als im Eimer: wenn unsere Eltern schon sich selbst nicht aushalten, wie sollen sie dann uns halten? Und da kommt unser ganz große Auftritt, mit dem wir verzweifelt versuchen, die Liebe zu retten: na, dann müssen wir doch mal die Eltern halten. Das ist übrigens ein Vertrag (ein Versprechen!), der den Vertragsbruch (Versagen!) perfekt als selbsterfüllende Eigensabotage in sich trägt. Und damit er nicht in Vergessenheit gerät, insznieren wir ihn unbewußt aber wirkungsvoll ein Leben lang mit projezierten Ersatzeltern weiter, bis es eben nicht mehr geht, weil der Schmerz zu groß wird oder sich glücklicherweise dieser oder jener Krebsgang zeigt.

Und was ist das Verrückte an diesem Überlebenskampf des inneren Kindes? Wir wünschen uns nichts mehr als ihn zu verlieren. So provoziert es ohne Ende um Gehör und Gewahrsam, denn wir wünschen uns nichts mehr als endlich eine erwachsene und weise Begleitung zu sein für die Geschichten der inneren Kinder, die doch längst nichts anderes mehr sind als machtvolle Geister in unseren Köpfen. Und genau da ist auch die Antwort. In der Welt gibt es diese Eltern nicht, aber in unserem Bewusstsein. Nur in unserem Bewusstsein.

Also, liebe Dagmar, lass deine Kleine endlich die geballte Faust offen schwingen, gib ihren Geschichten Raum und Zeit, sei beharrlich und mutig und last but not least: stark genug, Dich in die wirklichen Gefühle fallen zu lassen! Dann wird die geballte Faust sich öffnen in die ersehnte Hingabe an das Leben wie es ist. Dein wunderbar bös-artiges Kind steht vor der Tür. Öffne sie ganz!


------------------
Meike Lalowski



[This message has been edited by Meike Lalowski (edited 17 October 2005).]