Meike Lalowski
29.10.2004, 10:49
Jane ist 25 Jahre alt, als ihr Mann Michael sie verlässt und Mama und Papa (in dieser Reihenfolge!) sie auf die Galapagosinseln schicken, zwecks Abstand und Heilung. Dort trifft sie nicht nur auf Staub, Fauna und Flora ihres ersten Kindheitshelden Darwin, und nicht nur auf eine hinreißend skurrile Reisegruppe, sondern vor allem auf ihre Cousine und langjährige Kindheitsfreundin Martha.
Die entpuppt sich als kompetente Reiseleiterin und bewahrt die ganze lange Exkursionswoche professionellen Abstand. So setzt sich auf den aktuellen Trennungsschmerz ein alter: Denn vor zehn Jahren ist Martha sang- und klanglos aus Janes Leben verschwunden. Bis heute ist ihr die ganze Geschichte nicht nur völlig unverständlich, sondern auch Anlass für einen altbekannten Zweifel: was um Gottes Willen habe ich ihr getan? (Um es vorweg zu nehmen: dieses Rätsel wird in dem Roman nicht gelöst, was wesentlich zu seiner Qualität beträgt!)
Jane sucht verzweifelt und tapfer zugleich nach Haltung und Antwort: die sieben Tage werden nicht nur ein aufregender Ausflug zu Tölpeln, Seelöwen und Riesengänseblümchenbäumen, sondern auch einer durch Janes Kindheit und die Evolutionstheorie. Denn Jane und Martha sind die letzten Glieder einer langen komplizierten Familienhierarchie, in der eine unerklärte Familienfehde die jeweiligen Eltern zu erklärten Feinden macht. Einerseits steuern die Kinder das geschickt aus (sie brechen die Berührungstabus, ohne sie zu verstehen), andrerseits tanzen sie konsequent im Familienmuster: "Wir sind wie unsere Mütter" (http://www.meike-lalowski.de/ubb/Forum1/HTML/000097.html) könnte ein Untertitel des Romans sein … Hinreißend vor allem das Porträt der kapriziösen Jane-Mutter, das bei allem Humor dennoch im Halse stecken bleibt. Denn kokette Launen mögen auf geheimnisvolle Weise attraktiv machen, aber für eine Tochter sind sie ein gewaltiges Erbe, eben nicht nur evolutionstheoretisch, sondern mit Bravour vor allem durch die Entwicklung eines permanenten Gefühls von genau diesem „was habe ich getan?“.
Mit Schuld plagen sich beide ab: Doch während Jane eher in nebulöser Verschwommenheit einer magischen Welt nie genau weiß, wo sie anfängt und wo sie aufhört, entwickelt Martha schon in jungen Jahren klare Strukturen von Schuldzuweisung und Vergebung (http://www.meike-lalowski.de/ubb/Forum1/HTML/000121.html). Das ist wunderbar komplementär, so erlöst sich Kindheitseinsamkeit und Rätselnot durch eine intensive Debatier- und Welteroberungsfreude der beiden kleinen Mädchen. Bis zu einem Ende, das desto bitterer ist, weil es eben ein nie geklärtes bleibt.
Cathleen Schine hat eine großartige Art, uns durch diese Seelenpein hindurchzuführen. Scheinbare Naivität, leichtfüßige Ironie und tiefes Wissen um Darwin, die Psycho-Tücken einer nunja beinah normalen Familie (und welche wäre schon anders?) und liebevolle Sezierung aller Beteiligten lässt uns lachen, obwohl wir um die Tiefe des Schmerzes nicht herumkommen. Schon der erste Satz nimmt uns nämlich direkt mit ins Geschehen: „Haben Sie schon einmal eine Freundin verloren?“ Wer hat das nicht. Ein genialer Romananfang.
Ein lesenswerter Roman!
Cathleen Schine: Darwins Launen, dtv 13044, 9,50 Euro
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Meike Lalowski
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Die entpuppt sich als kompetente Reiseleiterin und bewahrt die ganze lange Exkursionswoche professionellen Abstand. So setzt sich auf den aktuellen Trennungsschmerz ein alter: Denn vor zehn Jahren ist Martha sang- und klanglos aus Janes Leben verschwunden. Bis heute ist ihr die ganze Geschichte nicht nur völlig unverständlich, sondern auch Anlass für einen altbekannten Zweifel: was um Gottes Willen habe ich ihr getan? (Um es vorweg zu nehmen: dieses Rätsel wird in dem Roman nicht gelöst, was wesentlich zu seiner Qualität beträgt!)
Jane sucht verzweifelt und tapfer zugleich nach Haltung und Antwort: die sieben Tage werden nicht nur ein aufregender Ausflug zu Tölpeln, Seelöwen und Riesengänseblümchenbäumen, sondern auch einer durch Janes Kindheit und die Evolutionstheorie. Denn Jane und Martha sind die letzten Glieder einer langen komplizierten Familienhierarchie, in der eine unerklärte Familienfehde die jeweiligen Eltern zu erklärten Feinden macht. Einerseits steuern die Kinder das geschickt aus (sie brechen die Berührungstabus, ohne sie zu verstehen), andrerseits tanzen sie konsequent im Familienmuster: "Wir sind wie unsere Mütter" (http://www.meike-lalowski.de/ubb/Forum1/HTML/000097.html) könnte ein Untertitel des Romans sein … Hinreißend vor allem das Porträt der kapriziösen Jane-Mutter, das bei allem Humor dennoch im Halse stecken bleibt. Denn kokette Launen mögen auf geheimnisvolle Weise attraktiv machen, aber für eine Tochter sind sie ein gewaltiges Erbe, eben nicht nur evolutionstheoretisch, sondern mit Bravour vor allem durch die Entwicklung eines permanenten Gefühls von genau diesem „was habe ich getan?“.
Mit Schuld plagen sich beide ab: Doch während Jane eher in nebulöser Verschwommenheit einer magischen Welt nie genau weiß, wo sie anfängt und wo sie aufhört, entwickelt Martha schon in jungen Jahren klare Strukturen von Schuldzuweisung und Vergebung (http://www.meike-lalowski.de/ubb/Forum1/HTML/000121.html). Das ist wunderbar komplementär, so erlöst sich Kindheitseinsamkeit und Rätselnot durch eine intensive Debatier- und Welteroberungsfreude der beiden kleinen Mädchen. Bis zu einem Ende, das desto bitterer ist, weil es eben ein nie geklärtes bleibt.
Cathleen Schine hat eine großartige Art, uns durch diese Seelenpein hindurchzuführen. Scheinbare Naivität, leichtfüßige Ironie und tiefes Wissen um Darwin, die Psycho-Tücken einer nunja beinah normalen Familie (und welche wäre schon anders?) und liebevolle Sezierung aller Beteiligten lässt uns lachen, obwohl wir um die Tiefe des Schmerzes nicht herumkommen. Schon der erste Satz nimmt uns nämlich direkt mit ins Geschehen: „Haben Sie schon einmal eine Freundin verloren?“ Wer hat das nicht. Ein genialer Romananfang.
Ein lesenswerter Roman!
Cathleen Schine: Darwins Launen, dtv 13044, 9,50 Euro
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Meike Lalowski
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