Wie es so passt: frisch gelesen im Literaturkreis,
hier besprochen und hier fröhlich zitiert:
Heldin Jane beschreibt die eindrucksvolle Vergebungstaktik ihrer Freundin Martha, als sie beide noch kleine Mädchen waren.
„Martha vergab mir meine Ressentiments. Sie vergab gern. Vergeben war ihr Hobby. Vielleicht war das der Grund, warum sie so gern diskutierte. Fehler müssen erst identifiziert werden, um vergeben werden zu können. Sie rechnete sich ihre Großzügigkeit hoch an. Und ich glaube auch, dass die Milde in Marthas Augen durch ihre kritische Natur nur gewinnen könnte, denn auf diese Weise gelangten immer sehr viele vergebungsheischende Fehler und Schwächen zu ihrer Kenntnis. Es gab so viele, aus denen sie ihre Wahl treffen konnte: bereits als Kind war sie in der Hinsicht eine richtige Expertin.
Jeder in unserer Umbebung konnte als verlässlicher Lieferant von durchaus brauchbaren Allerweltsfehlern gelten, aber Martha war so demokratisch, die alltäglichen, immer wiederkehrenden, gewöhnlichen Situationen, die ihre Nachsicht verlangten, nie als ihrer unwürdig zu erachten. Und wenn ihr jemand gelegentlich einen prachtvollen Ausbruch von wahrhaft Unerwartetem, Exotischen kredenzte, vergab sie auch das. Sie liebte uns, und sie erduldete uns gern.
Ebenso, wie sie anderen vergab und fortfuhr, sie zu lieben, was Martha offenbar auch fähig, sich ihre eigenen Schwächen zu vergeben und sich weiter zu lieben. Es war dies ein Wesenszug, um den ich sie beneidete und den ich mir, ebenso erfolglos wie andere Marthasche Eigenschaften, anzueignen strebte. Das Bewusstsein der eigenen Hochanständigkeit umgab sie rund um die Uhr mit einer liebenswürdigen, schützenden Aura. Sie wirkte so unanfechtbar wie eine Nonne.“
Aus: Cathleen Schine: Darwins Launen – dtv 13044 – 9,50 Euro – sehr empfehlenswert!
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Meike Lalowski
[This message has been edited by Meike Lalowski (edited 29 October 2004).]